Beratungsgremien mit ausgelosten Bürgern
Planungszellen zur Erstellung von Bürgergutachten werden bislang stets zu konkreten Einzelfragen in Auftrag gegeben. Das klassische Beispiel: eine Umgehungsstraße soll gebaut werden. Aber soll sie – vereinfacht gesagt – rechts oder links um den Ort gehen, als Brücke über ihn hinweg oder als Tunnel unter ihm hindurch führen? Es liegen viele Planungsvorschläge auf dem Tisch, nun sollen die Bürger entscheiden. Und weil die Sachfragen, die dabei zu entscheiden sind, sehr komplex sind, geht das nicht gut mit einem Bürgerentscheid per simpler Abstimmung, sondern man beauftragt Planungszellen, in denen ausgeloste Bürger vier Tage lang intensiv alles prüfen, alle Positionen anhören, Kosten und Umsetzungspläne diskutieren, um letztlich der Verwaltung eine konkrete Empfehlung zu unterbreiten.
Ausgeloste Bürger könnten aber auch in „Gremien“ zusammenkommen, die bisher von Lobbygruppen beschickt werden (also von Wirtschaftsverbänden, Wissenschaftlichen Vereinigungen, Bürgerinitiativen, anderen Vereinen etc.). Denn all solche Gremien aus Lobbyvertretern sind in ihrer Zusammensetzung weit entfernt von der Vielschichtigkeit der Bevölkerung, an deren Stelle sie aktiv werden sollen. Sie sind nicht repräsentativ, und alle Mitglieder haben starke Eigeninteressen (sie vertreten ihren Verband, ihre Berufsgruppe, eigene berufliche Interessen, – aber nicht die Allgemeinheit, zumindest nicht in erster Linie).
Ein vortreffliches Beispiel dafür sind all die Gremien, die beim öffentlich-rechtlichen wie beim privaten Rundfunk „die Gesellschaft“ vertreten sollen, etwa im „ZDF-Fernsehrat“. „Normale Bürger“ kommen darin gar nicht vor, stattdessen entsenden nach strenger Reglementierung Partien, staatliche Stellen und Lobbygruppen Vertreter (darunter: Politiker aller Bundesländer, Kirchen, Beamtenbund, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Sport -und Umweltverbände etc.), die dann „die Interessen der Allgemeinheit“ repräsentieren sollen, wie es beim ZDF heißt.
Von der Vielfalt der Bevölkerung (und ihren Interessen am Rundfunk) sind solche Vertreter zwangsläufig weit entfernt.
Das einzig demokratische, weil repräsentative Verfahren wäre hier, die Vertreter der Allgemeinheit aus der Gesamtbevölkerung auszulosen (z.B. aus den Melderegistern) – und zwar für jede Beratungseinheit (von z.B. vier Tagen) neu, damit nicht doch aus „normalen Bürgern“ „Funktionäre“ werden.
Das Beispiel einer solch repräsentativen Zusammensetzung des ZDF-Fernsehrats ist im Fachdienst epd-Medien (Nr. 39/2014) ausführlich beschrieben (Kurzfassung online hier). Natürlich waren die Lobbygruppen, die bisher ihren Platz im Fernsehrat haben, von diesem Vorschlag wenig begeistert, würde er sie doch um ihren Einfluss bringen. Unter den vielen tausend Gruppen, die bisher keinen Zugang zum Fernsehrat haben, dürfte es jedoch viele Befürworter eines Losverfahrens geben: denn es wäre die einzige Chance, dass auch sie einmal zum Zuge kommen. Letztlich wäre mit der Auslosung allen gedient, denn jeder kann ausgelost werden und keine Gruppe wird per Gesetz (hier: Staatsvertrag) kategorisch ausgeschlossen.
Auch für viele andere Gremien wäre die Auslosung der kurzzeitigen Mitglieder ein enormer demokratischer Fortschritt. Die Lobbygruppen, die ja durchaus Fachkompetenz in ihren Gebieten besitzen, kämen dabei nicht zu kurz: sie können jederzeit als Fachleute angehört werden – doch die Entscheidungen träfen dann eben ganz normale Bürger.
Mit Fragen zur „aleatorischen Demokratie“, der Vertretung von Gemeinwohlinteressen durch ausgeloste Bürger, wenden Sie sich bitte an Timo Rieg.
Siehe auch: Unterscheidung verschiedener Bürgerrats-Modelle.