James S. Fishkin
Random Assemblies for Lawmaking? Prospects and Limits*
James Fishkin (71) diskutiert in seinem Aufsatz Überlegungen zu einer zweiten (oder dritten) parlamentarischen Kammer, die mit ausgelosten Bürgern besetzt wird. Diese könnte vor oder nach dem Beginn eines Gesetzgebungsverfahrens arbeiten (“I will refer to the former as prefilter designs and the latter as postfilter designs”).
Fishkin benennt vier demokratische Grundprinzipien, die in den vielfältigen Demokratiemodellen unterschiedlich miteinander verwoben werden: “political equality, (mass) participation, deliberation, and avoiding tyranny of the majority (which I call nontyranny)”.Kritisch wendet er ein, ausgeloste Bürgerversammlungen wie die Citizens’ Assembly on Electoral Reform in British Columbia würden zeigen, dass diese Verfahren zu aufwendig und zeitintensiv seien, um das reale Arbeitsaufkommen eines Parlaments zu bewältigen. Gegen eine längere Amtsdauer führt er die Korruptionsmöglichkeit an (die bei kurzer Amtsdauer wie in den Planungszellen oder Deliberative Polls nicht gegeben ist). Außerdem verlören die Bürger ihre spezielle Bürgerrolle und würden sich den gewählten Politikern bei längerer Amtsdauer annähern (wie auch im Blog Aleatorische-Demokratie.de regelmäßig argumentiert wird).
Als moderne Adaptionen der griechischen Los-Demokratie stellt Fishkin drei Beispiele vor.
Zunächst die Mongolei, die sich im Februar 2017 ein Gesetz gab, das ein Deliberative Poll vor einer Verfassungsänderung vorsieht. Im April tagte dann die erste ausgeloste Bürgergruppe – mit beachtlicher Rückmeldequote. Fishkin:
“The National Statistical Office, the same government agency that conducts the census, recruited an excellent stratified random sample: 1,568 households were randomly selected with participants randomly selected within the households. Of the people selected, 96 percent completed the initial interview. Half of those interviewed were randomly selected to be invited. Out of the 785 who were invited, 669 came and completed the two full days of deliberation. All expenses were paid by the government, but no honorariums were offered. Our analyses show that the sample was highly representative of the citizenry, in both attitudes and demographics.”
Als zweites Szenario diskutiert Fishkin eine Loskammer, die über Gesetze berät, die im Berufsparlament zwar eine Mehrheit, aber weniger als zwei Drittel der Stimmen erhalten haben. Fishkin:
” If there is merely a majority, but not a supermajority, the people, convened in microcosm, have the final say. But if there is a supermajority in the parliament, then there is no triggering of the requirement to convene the people. This design would arguably create real incentives for even highly polarized parties to work together.”
Als dritten Anwendungsfall nennt Fishkin einen Deliberative Poll zur Auswahl von Themen für öffentliche Abstimmungen. Die ausgelosten Bürger beraten dabei über Vorschläge, deren Bedeutung durch eine niederschwellige Anzahl von Unterschriften unterstrichen wird, für die aber noch nicht der Aufwand wie bei Volksbegehren betrieben werden muss. Konkret greift Fishkin dabei auf ein Projekt in Kalifornien zurück, das von seinem Institut betreut wurde. Dies ist letztlich – wenn auch methodisch anders- der Anwendungsfall der irischen Citizens Assembly, also der einer Abstimmung vorgelagerten intensiven Beratung durch ausgeloste Bürger unter Anhörung von Experten und Interessenvertretern.
Fishkin resümiert: “In all three scenarios, a Deliberative Poll–like process offers a brief convening for the limited role of priority setting—for possible constitutional amendments, for final approval of legislation, or for agenda setting for ballot measures.”
Und nachdem er all seine Überlegungen an seiner Methode des Deliberative Poll entlanggeführt hat, räumt er ein: ” I am not advocating the position that every deliberative input should be conducted via Deliberative Polling. As noted earlier, I am sure that with the development of technology and innovative experimentation, we will find even better models.”
Fishkin schließt mit einer Liste von acht Bedingungen, die geeignete deliberative Losverfahren erfüllen sollten. Davon darf das meiste als State of the Art gelten (z.B. “Access to competing experts to answer questions can be immensely useful”).
Manches hingegen wäre zu diskutieren, etwa seine Präferenz für moderierte Kleingruppen (die es bei Planungszellen aus gutem Grund nicht gibt).
Insgesamt wirkt Fishkins Beitrag nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Er referiert überwiegend alte Literatur, von den vielfältigen jüngeren Modellen aleatorischer Demokratie und Deliberation erwähnt er nichts, und auch in der Theoriedebatte bleibt er deutlich hinter dem zurück, was heute diskutiert wird – natürlich auch und vor allem auf Englisch, anderes wird in den USA ja eh nicht zur Kenntnis genommen. Zahlreiche seiner Annahmen belegt er nicht.
Bibliografische Angaben:
James S. Fishkin
Random Assemblies for Lawmaking? Prospects and Limits*
Politics & Society 46(3)
*This special issue of Politics & Society titled “Legislature by Lot: Transformative Designs for Deliberative Governance” features a preface, an introductory anchor essay and postscript, and six articles that were presented as part of a workshop held at the University of Wisconsin–Madison, September 2017, organized by John Gastil and Erik Olin Wright.
https://journals.sagepub.com/toc/pasa/46/3
Auszug aus dem Abstract:
This article provides a response to the skeptical considerations. Precedents from ancient Athens show how such short-term convenings of a deliberating microcosm can be positioned before, during, or after other elements of the lawmaking process.
Weiterführende Links:
Deliberative Polling bei Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Deliberative_Polling
Deliberative Poll Mangolia
Mongolia’s First National Deliberative Poll on Constitutional Amendments
Whats’s next California
http://www.nextca.org
Fishkin an der Standord-University
https://cddrl.fsi.stanford.edu/people/James_S_Fishkin